Die Lieferung von Waren an Privatpersonen innerhalb der Europäischen Union unterliegt anderen Regeln als die Lieferung an Unternehmen. Die Lieferantinnen und Lieferanten können beispielsweise bis zu einer bestimmten Umsatzhöhe die Umsatzsteuer im eigenen Land abführen – in diesen Fällen greift die sogenannte Lieferschwelle.
In diesem Artikel erfahren Sie, was die Lieferschwelle ist, in welchen Fällen sie Anwendung findet und in welchen nicht. Zudem erklären wir den Unterschied zwischen Bestimmungslandprinzip und Herkunftslandprinzip und wie Umsätze oberhalb der Lieferschwelle mithilfe des OSS-Verfahrens versteuert werden.
Worum geht es in diesem Artikel?
- Was ist die Lieferschwelle in der EU?
- Wie hoch ist die Lieferschwelle?
- Bestimmungslandprinzip versus Herkunftslandprinzip
- In welchen Fällen greift die Lieferschwelle nicht?
- Wie werden Umsätze oberhalb der Lieferschwelle im OSS-Verfahren versteuert?
- Was passiert, wenn die Lieferschwelle überschritten wird?
Was ist die Lieferschwelle in der EU?
Die Lieferschwelle ist eine Umsatzgrenze. Bis zu dieser Grenze können Unternehmen Waren an Privatpersonen in anderen EU-Staaten liefern, ohne dort Umsatzsteuer abführen zu müssen. Für Unternehmen greift die Lieferschwelle folglich nur, wenn sie Umsätze mit Kundinnen und Kunden aus anderen EU-Staaten tätigen, und wenn:
- diese Kundinnen und Kunden Privatpersonen oder Privatpersonen-Gleichgestellte sind, die nicht der Erwerbssteuer unterliegen, sowie wenn
- die Unternehmen die Waren selbst in das betreffende Land befördern oder versenden, das heißt, keine Abhollieferung vorliegt.
Solange diese Bedingungen erfüllt sind und die Lieferschwelle nicht überschritten wird, gilt die Umsatzbesteuerung im Ursprungsland der Verkäufer/innen. Wird die Schwelle überschritten, sind die verkaufenden Unternehmen verpflichtet, sich im Zielland umsatzsteuerlich zu registrieren und die dort geltende Umsatzsteuer abzuführen.
Wie hoch ist die Lieferschwelle?
Bis zum 30. Juni 2021 galt für innergemeinschaftlichen Fernverkäufe deutscher Unternehmen die Versandhausregelung gemäß § 3c des Umsatzsteuergesetzes (UStG). Zur Vereinfachung des innergemeinschaftlichen Versandhandels wurde diese durch die nun gültige Fernverkaufsregelung ergänzt. Zuvor waren die Lieferschwellen in den EU-Staaten unterschiedlich hoch, sodass Händler/innen die verschiedenen Schwellenwerte sämtlicher EU-Staaten beachten mussten. Seit Juli 2021 gilt EU-weit eine einheitliche Lieferschwelle: Der Umsatz darf pro Kalenderjahr maximal 10.000 € netto betragen.
Ein Beispiel: Ein deutsches Unternehmen liefert im ersten Halbjahr Waren im Wert von 8.000 € netto an Privatkundinnen und -kunden nach Frankreich. Die Umsätze liegen unterhalb der Lieferschwelle und können damit in Deutschland mit dem heimischen Steuersatz versteuert werden. Erfolgen im August des gleichen Jahres weitere Warenlieferungen im Wert von 2.500 € netto wird die Lieferschwelle von 10.000 € überschritten. In Folge müssen sämtliche Warenumsätze, die zur Überschreitung des Schwellenwerts geführt haben, bei der französischen Finanzbehörde mit der französischen Umsatzsteuer versteuert werden. Gleiches gilt für sämtliche Umsätze aus Warenlieferungen des betreffenden Unternehmens nach Frankreich im folgenden Kalenderjahr. Grundlage für die Versteuerung ist das Bestimmungslandprinzip beziehungsweise das Herkunftslandprinzip.
Bestimmungslandprinzip versus Herkunftslandprinzip
Das Bestimmungslandprinzip und das Herkunftslandprinzip sind zwei unterschiedliche Konzepte zur Besteuerung grenzüberschreitender Lieferungen und Dienstleistungen innerhalb der Europäischen Union.
Bestimmungslandprinzip
Beim Bestimmungslandprinzip wird die Umsatzsteuer im Zielland erhoben, also in dem Land, in das die Waren geliefert werden. Dies bedeutet, dass der Steuersatz und die Steuervorschriften des Bestimmungslandes gelten. Bei Überschreiten der Lieferschwelle in einem anderen EU-Land muss sich ein Unternehmen demnach dort steuerlich registrieren und die Umsatzsteuer des Ziellandes erheben und abführen. Für den innergemeinschaftlichen Warenverkehr innerhalb der EU gilt das Bestimmungslandprinzip vor allem, um eine faire Besteuerung sicherzustellen und zu verhindern, dass Unternehmen gezielt in Länder mit niedrigeren Steuersätzen verkaufen, um sich unfaire Preisvorteile zu sichern.
Herkunftslandprinzip
Beim Herkunftslandprinzip erfolgt die Besteuerung nach den Regelungen und Steuersätzen des Landes, aus dem die Ware stammt. Das heißt, der Umsatz wird im Ursprungsland besteuert, unabhängig davon, wohin die Waren geliefert werden. Solange ein Unternehmen die Lieferschwelle des Bestimmungslandes nicht überschreitet, wird die Umsatzsteuer nach dem Herkunftslandprinzip berechnet. Wird die Schwelle überschritten, greift das Bestimmungslandprinzip.
In welchen Fällen greift die Lieferschwelle nicht?
In einigen Fällen greift die Lieferschwelle nicht und es kommen stattdessen Sonderregelungen zum Einsatz. Die wichtigsten Ausnahmen finden Sie nachfolgend im Überblick.
Verbrauchsteuerpflichtige Waren
Verbrauchsteuerpflichtige Waren müssen grundsätzlich im Empfängerland besteuert werden. Dies beinhaltet gemäß § 1a Absatz 5 UStG Mineralöle, Alkohol und alkoholische Getränke sowie Tabakwaren. Die Lieferschwelle findet bei diesen Waren folglich keine Anwendung. Zudem werden die entsprechenden Entgelte bei der Berechnung der Umsätze für die Lieferschwelle nicht berücksichtigt.
Neue Fahrzeuge
Gleiches gilt für den Erwerb neuer Fahrzeuge. Auch bei ihnen kommt nach § 1a Absatz 5 UStG grundsätzlich das Bestimmungslandprinzip zur Anwendung: Neue Fahrzeuge müssen unabhängig von der Umsatzhöhe im Empfängerland versteuert werden.
Erwerbsschwelle
Privatpersonen und Privatpersonen-Gleichgestellte dürfen bei grenzüberschreitenden Lieferungen innerhalb eines Kalenderjahres Waren nur bis zu einem bestimmten Schwellenwert in Empfang nehmen. Diese sogenannte Erwerbsschwelle wird von den EU-Mitgliedstaaten individuell festgelegt. Wird sie überschritten, werden die Empfänger/innen steuerlich wie Unternehmen behandelt. Sie müssen in der Folge die erworbenen Waren in ihrem Land versteuern. Deutsche Erwerber/innen sind in diesem Fall dazu verpflichtet, beim Bundeszentralamt für Steuern eine Umsatzsteueridentifikationsnummer zu beantragen.
Nachfolgend finden Sie eine Übersicht der Erwerbsschwellen der EU-Mitgliedsstaaten von der Industrie- und Handelskammer.
Erwerbsschwellen der EU-Mitgliedsstaaten
Mitgliedstaat
|
Betrag in der Landeswährung
|
Betrag in EUR
|
---|---|---|
Österreich | 11.000 € | |
Belgien | 11.200 € | |
Bulgarien | 20.000 BGN | 10.226 € |
Kroatien | 77.000 kn | 10.196 € |
Zypern | 10.251,61 € | |
Tschechien | 326.000 Kč | 12.423 € |
Dänemark | 80.000 kr | 10.752 € |
Estland | 10.000 € | |
Finnland | 10.000 € | |
Frankreich | 10.000 € | |
Deutschland | 12.500 € | |
Griechenland | 10.000 € | |
Ungarn | 10.000 €* | |
Irland | 41.000 € | |
Italien | 10.000 € | |
Lettland | 10.000 € | |
Litauen | 14.000 € | |
Luxemburg | 10.000 € | |
Malta | 10.000 € | |
Niederlande | 10.000 € | |
Polen | 50.000 zł | 10.966 € |
Portugal | 10.000 € | |
Rumänien | 34.000 L | 7.291 € |
Slowakei | 14.000 € | |
Slowenien | 10.000 € | |
Spanien | 10.000 € | |
Schweden | 90.000 kr | 8.970 € |
*Die Landeswährung in Ungarn ist der Forint (HUF), das Mehrwertsteuergesetz sieht jedoch ausdrücklich einen Betrag in Euro für diese Erwerbsschwelle vor.
Die Erwerber/innen haben jedoch die Möglichkeit, nach § 1a Absatz 4 UStG freiwillig auf die Anwendung der Erwerbsschwellen zu verzichten. Als Verzicht gilt die Verwendung einer Umsatzsteueridentifikationsnummer gegenüber den liefernden Unternehmen. Wird dieser Verzicht in Anspruch genommen, gilt er für zwei Kalenderjahre.
Wie werden Umsätze oberhalb der Lieferschwelle im OSS-Verfahren versteuert?
Unternehmen, die Warenwerte oberhalb der Lieferschwelle in andere EU-Mitgliedstaaten liefern, sind dazu verpflichtet, sich in diesen Ländern umsatzsteuerlich registrieren zu lassen und die Umsatzsteuer dort abzuführen. Gerade wenn Verkäufe in mehrere Länder getätigt werden, ist dies mit hohem administrativen Aufwand verbunden.
Aus diesem Grund stellt das Bundeszentralamt für Steuern zum Erfassen innergemeinschaftlicher Umsätze aus EU-Fernverkäufen im B2C-Bereich den One-Stop-Shop (OSS) zur Verfügung. Das OSS-Verfahren ist ein Online-Portal, über das Unternehmen ihre Steuerpflichten in mehreren EU-Ländern zentral abwickeln können. Wird die Lieferschwelle überschritten, übernimmt mit dem OSS-Verfahren das Bundeszentralamt für Steuern das Abführen der Umsatzsteuern an die EU-Mitgliedstaaten. Hierfür melden Unternehmen ihre Umsätze vierteljährlich gebündelt und begleichen die fällige Umsatzsteuer mit einer Einmalzahlung per Überweisung. Damit muss die Lieferschwelle bei OSS-Verfahren nicht gesondert beachtet werden.
Voraussetzung der Abwicklung durch das Bundeszentralamt für Steuern ist die Übermittlung der folgenden Informationen:
- Empfängerländer
- Nettoumsätze für die einzelnen Empfängerländer in der jeweiligen Landeswährung
- Steuersätze der Waren
- Beträge der zu zahlenden Umsatzsteuer
- Eigene Umsatzsteueridentifikationsnummer
Ebenfalls Hilfestellung bei der Abwicklung der Umsatzsteuern bietet Stripe Tax. Mit Tax können Unternehmen ihre Steuern für weltweite Zahlungen erheben und melden. Der richtige Steuerbetrag wird automatisch ermittelt und es lässt sich auf einen Blick feststellen, ob Lieferschwellen überschritten werden. Zudem haben Unternehmen mit Stripe Tax Zugriff auf sämtliche relevante Steuerunterlagen und können damit schnell und einfach Steuererstattungen beantragen.
Was passiert, wenn die Lieferschwelle überschritten wird?
Unternehmen, die die Lieferschwelle überschreiten, sollten das OSS-Verfahren nutzen, um ihre Umsätze zu versteuern. Optional können sie sich in den entsprechenden EU-Mitgliedstaaten selbst steuerlich registrieren lassen, ihre Umsätze dort versteuern und auch eine gesonderte Steuererklärung vor Ort einreichen. Eine der beiden Optionen sollte bereits dann gewählt werden, wenn absehbar ist, dass die Lieferschwelle überschritten wird.
Denn wer versehentlich oder vorsätzlich über dem Schwellenwert liegt und die Versteuerung im EU-Ausland nicht entsprechend regelt, macht sich strafbar. Eine falsche oder nicht vorgenommene Steuererklärung kann als Steuerhinterziehung gewertet werden. Im Zweifelsfall sollten Unternehmen die Dienste von Steuerberaterinnen und Steuerberatern im eigenen Land oder im Empfängerland in Anspruch nehmen.
Der Inhalt dieses Artikels dient nur zu allgemeinen Informations- und Bildungszwecken und sollte nicht als Rechts- oder Steuerberatung interpretiert werden. Stripe übernimmt keine Gewähr oder Garantie für die Richtigkeit, Vollständigkeit, Angemessenheit oder Aktualität der Informationen in diesem Artikel. Sie sollten den Rat eines in Ihrem steuerlichen Zuständigkeitsbereich zugelassenen kompetenten Rechtsbeistands oder von einer Steuerberatungsstelle einholen und sich hinsichtlich Ihrer speziellen Situation beraten lassen.