Durch Disintermediation werden Intermediäre aus einer Lieferkette oder Branche entfernt. Disintermediation bezeichnet den Verzicht auf Vermittler in einer Lieferkette oder Branche. Durch Disintermediation können Produzenten oder Hersteller direkt an die Kundschaft verkaufen und so traditionelle Vertriebskanäle wie Großhändler, Einzelhändler und Maklerfirmen umgehen. Dadurch können sowohl die Hersteller als auch die Kundinnen und Kunden Einsparungen erzielen, da die Unternehmen weniger an Intermediäre zahlen müssen.
In der Finanzbranche bezieht sich Disintermediation oft auf Anleger/innen, die direkt in Wertpapiere investieren, ohne Banken oder Maklerfirmen einzuschalten. Im Einzelhandel kann Disintermediation bedeuten, dass Hersteller ihre Produkte über Online-Plattformen (statt über physische Geschäfte oder Drittanbieter) direkt an die Kundschaft verkaufen.
Die Technologie hat die Disintermediation vereinfacht: Hersteller und Kundschaft können nun leichter miteinander in Kontakt treten und direkt Geschäfte machen. Als Folge davon haben die betroffenen Branchen die Vermarktung, den Verkauf und den Vertrieb ihrer Produkte grundlegend verändert und es wird erwartet, dass der gesamte E-Commerce-Umsatz im Direktvertrieb an Verbraucher/innen (D2C) in den USA im Jahr 2024 213 Mrd. USD erreichen wird.
Im Folgenden erläutern wir die Vorteile, Nachteile und Auswirkungen der Disintermediation und der damit verbundenen neuen Trends.
Worum geht es in diesem Artikel?
- Geschäftliche Auswirkungen der Disintermediation
- Geschäftliche Vorteile der Disintermediation
- Bewältigung gängiger Probleme der Disintermediation
- Neue Tendenzen in der direkten Kundenansprache
Geschäftliche Auswirkungen der Disintermediation
Die Verbreitung von E-Commerce-Plattformen, Social Media und digitalen Marketingtools hat es für die Unternehmen einfacher und kostengünstiger gemacht, ihre Kundschaft direkt zu erreichen. Die Erwartungen der Kundschaft haben sich entsprechend mitverändert: Viele Kundinnen und Kunden suchen den direkten Kontakt zu Marken, weil sie die Authentizität, die Transparenz und die persönlichen Erfahrungen schätzen, die diese Interaktionen bieten.
Unternehmen, die auf Disintermediation setzen, überarbeiten häufig ihre Art der Vermarktung und des Verkaufs ihrer Produkte oder Dienstleistungen – und manchmal auch ihren gesamten Geschäftsbetrieb. Die Auswirkungen der Disintermediation sind von Branche zu Branche und von Marktsegment zu Marktsegment unterschiedlich. Einige Unternehmen profitieren stärker davon als andere. Während Anbieter digitaler Dienstleistungen oder von Nischenprodukten ihr Geschäft durch Disintermediation ausweiten können, profitieren andere Unternehmenstypen eher von einem Hybridmodell, das neben den direkten Kanälen auch einige Vermittlungsbeziehungen aufrechterhält.
Disintermediation wirkt sich folgendermaßen auf traditionelle Geschäftsmodelle aus:
Verkauf: Traditionelle Modelle stützen sich häufig auf eine Reihe von Vertriebsunternehmen, Großhändlern und Einzelhändlern, um Produkte vom Hersteller zur Kundschaft zu bringen. Die Disintermediation verkürzt diese Kette.
Wertversprechen: Unternehmen müssen ihre Wertversprechen neu definieren, um sich in einem Markt ohne Intermediäre zu differenzieren, und ihren Fokus auf direkte Beziehungen, personalisierte Dienstleistungen und verbesserte Kundenerfahrungen verlagern.
Preise: Angesichts der geringeren Anzahl von Intermediären können Unternehmen wettbewerbsfähigere Preise anbieten, was die Mitbewerber unter Druck setzt, ihre Preisstrategien anzupassen. Durch die Disintermediation kann die Kundschaft auch leichter die Preise direkt bei den Herstellern vergleichen, was zu einer größeren Preistransparenz bei den Marken führt.
Kundenkommunikation: Die Unternehmen erhalten einen direkten Zugang zu ihrer Kundschaft, wodurch sie gezieltere und personalisierte Marketingstrategien entwickeln können. Allerdings sind dazu Vorabinvestitionen in digitale Marketingkapazitäten erforderlich.
Kundendaten: Durch direkte Interaktionen gewinnen Unternehmen wertvolle Kundendaten, die sie für die Produktentwicklung und die Verbesserung des Kundenservice nutzen können. Allerdings müssen die Unternehmen dann auch neue Aufgaben in den Bereichen Datenschutz und Datenspeicherung übernehmen.
Logistik: Unternehmen, die Vermittler umgehen, müssen ihre Logistik- und Abwicklungskapazitäten weiterentwickeln oder auslagern. Für Unternehmen, die in diesen Bereichen bisher auf Dritte gesetzt haben, kann dies eine große betriebliche Umstellung bedeuten.
Internationale Reichweite: Disintermediation erleichtert es Unternehmen oft, internationale Märkte ohne lokale Präsenz oder lokale Intermediäre zu erreichen. Für Unternehmen kann dies neue Verantwortlichkeiten in Bezug auf internationalen Versand, Zoll und lokale Marktpräferenzen bedeuten.
Abbau von Barrieren: Da keine Beziehungen zu Zwischeninstanzen aufgebaut werden müssen, können sich neue Marktteilnehmer leichter auf dem Markt etablieren, was den Wettbewerb intensiviert. Ein verstärkter Wettbewerb kann die Innovation bei Produkten, Dienstleistungen und Geschäftsmodellen vorantreiben und mehr kontinuierliche Anpassung erfordern, um auf dem Markt bestehen zu können.
Auch wenn Unternehmen, die sich für Disintermediation entscheiden, ihre Geschäftsmodelle entsprechend anpassen müssen, sind die Auswirkungen auf die Vermittler am größten. Disintermediation kann Einzelhändler, Großhändler und Maklerfirmen dazu zwingen, neue Wege zur Wertschöpfung zu finden oder ihre Geschäftsmodelle neu zu erfinden. Mit der zunehmenden Popularität der Disintermediation haben einige Intermediäre neue Nischenfunktionen gefunden, in denen sie einen Mehrwert schaffen können, wie z. B. Fachwissen, maßgeschneiderte Dienstleistungen oder logistische Fähigkeiten, die direkte Modelle nicht ohne Weiteres replizieren können.
Geschäftliche Vorteile der Disintermediation
Disintermediation kann folgende Vorteile für die Geschäftskosten, -prozesse und -beziehungen haben:
Kosten: Durch den Wegfall von Intermediären können Unternehmen die mit den Vertriebskanälen verbundenen Kosten wie Provisionen, Gebühren und Aufschläge senken. Dies kann zu niedrigeren Preisen für die Kundschaft und höheren Gewinnspannen für die Hersteller führen.
Effizienz: Durch die direkte Interaktion mit der Kundschaft kann die Zeit, die die Produkte von der Produktion bis zur Kundin bzw. zum Kunden benötigen, verkürzt werden, was einen Wettbewerbsvorteil darstellt.
Kundenbeziehungen: Durch die Disintermediation können Unternehmen direkte Beziehungen zu ihrer Kundschaft aufbauen und erhalten sofortiges Feedback, wodurch sie tiefere Einblicke in Vorlieben, Verhaltensweisen und Bedürfnisse gewinnen. Diese Feedbackschleife kann zu Verbesserungen bei der Produktentwicklung, dem Kundenservice und Marketingstrategien führen.
Kontrolle: Ohne Intermediäre behalten die Unternehmen die volle Kontrolle über das Image ihrer Marke, die Interaktionen mit ihrer Kundschaft und die gesamte Kauferfahrung. Das kann die Markentreue stärken und eine einheitliche Botschaft und Qualität über alle Kommunikationskanäle hinweg gewährleisten.
Agilität: Ohne Intermediäre können Unternehmen flexibler auf Marktveränderungen und Kundentrends reagieren. Sie können ihre Strategien schnell anpassen, Produkte einführen oder sich in Märkten etablieren, ohne sich mit mehreren Parteien abstimmen zu müssen.
Dateninhaberschaft und -nutzung: Der Erwerb der Kundenbeziehung bedeutet auch den Erwerb der Kundendaten. Dieser Zugang kann Analysen, Personalisierung und gezieltes Marketing erleichtern und so die Kundenbindung und den Umsatz steigern.
Umgang mit den üblichen Herausforderungen der Disintermediation
Disintermediation bietet Vorteile wie Kostensenkungen und direkte Kundenbeziehungen, bringt aber auch Herausforderungen mit sich, die Planung und Investitionen in Technologie und Infrastruktur erfordern.
Herausforderung 1: Schaffung direkter Vertriebskanäle
Der Aufbau eines D2C-Kanals erfordert häufig Vorabinvestitionen in Technologie, Logistik, Marketing und Systeme für den Kundensupport. Die Kosten und die Komplexität für den Aufbau solcher Kapazitäten sind für manche Unternehmen unerschwinglich.
Lösungen
E-Commerce-Plattformen: Entwickeln Sie nutzerfreundliche E-Commerce-Plattformen, die ein erhöhtes Datenaufkommen und mehr Transaktionen bewältigen können, oder investieren Sie in diese.
Marktplätze: Erwägen Sie die Nutzung bestehender Online-Marktplätze, um Sichtbarkeit und Zugang zu einem breiteren Kundenkreis zu erlangen.
Herausforderung 2: Logistik und Vertrieb
Die Abwicklung von Vertrieb und Ausführung im Unternehmen oder über neue Direktkanäle kann zu Komplikationen führen, insbesondere für Unternehmen, die mit dieser Aufgabe nicht vertraut sind. Dazu können Herausforderungen im Zusammenhang mit Bestandsmanagement, Versand, Rückgaben und internationaler Logistik gehören.
Lösungen
Logistikanbieter: Arbeiten Sie mit externen Logistikanbietern zusammen, die über das Know-how und die Infrastruktur verfügen, um komplexe Vertriebsanforderungen zu erfüllen.
Logistiktechnologie: Implementieren Sie fortschrittliche Logistiktechnologie für Bestandsmanagement, Ausführung von Bestellungen und Lieferverfolgung.
Herausforderung 3: Kosten für Marketing und Kundenakquise
Die Disintermediation kann zwar bestimmte Kosten senken, aber auch zu höheren Kosten bei der Kundenakquisition führen. Um Kundinnen und Kunden direkt zu erreichen und zu binden, sind gerade in einem überfüllten digitalen Umfeld oft erhebliche Marketing- und Werbeausgaben erforderlich.
Lösungen
Inhaltsmarketing: Entwickeln Sie ansprechende Inhalte, die Ihre Zielgruppe erreichen, und nutzen Sie SEO und Social Media, um die Sichtbarkeit zu erhöhen und organischen Datenverkehr zu generieren.
Datenanalyse: Steigern Sie die Konversionsraten und senken Sie die Akquisitionskosten, indem Sie die Analyse von Kundendaten nutzen, um Ihre Marketingmaßnahmen anzupassen und potenzielle Kundinnen und Kunden anzusprechen.
Herausforderung 4: Kundenservice und -support
Wenn Unternehmen die Aufgaben wahrnehmen, die traditionell von Intermediären ausgeführt werden, müssen sie auch die Verantwortung für den Kundenservice übernehmen. Das kann eine erhebliche betriebliche und finanzielle Belastung darstellen, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen ohne die entsprechende Infrastruktur.
Lösungen
CRM-Systeme: Investieren Sie in Systeme zur Verwaltung von Kundenbeziehungen (Customer Relationship Management, CRM), um Kundeninteraktionen, -support und -feedback zu verwalten.
Schulung des Kundenservice: Schulen Sie Ihre Kundenserviceteams gründlich und bereiten Sie sie auf die Bearbeitung von Anfragen, die Weitergabe von Informationen und die rasche Lösung von Problemen vor.
Herausforderung 5: Betriebliche Komplexität
Unternehmen, die auf Disintermediation setzen, laufen Gefahr, ihre Kapazitäten zu überfordern, was zu Abstrichen bei der Produktqualität, dem Kundenservice oder der betrieblichen Effizienz führen kann. Der Ausgleich der betrieblichen Abläufe ohne Verwässerung der Kernkompetenzen kann eine große Herausforderung darstellen.
Lösungen
Automatisierung: Nutzen Sie die Automatisierung, um Abläufe wie Auftragsabwicklung und Kundenservice zu optimieren, den manuellen Arbeitsaufwand zu verringern und Fehler zu minimieren.
Fachkompetenz: Erwägen Sie die Einstellung von Expertinnen und Experten oder die Schulung von Personal in Bereichen wie digitales Marketing, Logistik und Datenanalyse.
Herausforderung 6: Wettbewerb mit etablierten Unternehmen
Intermediäre können einen wertvollen Beitrag zur Marktexposition leisten, indem sie die Kundschaft über etablierte Kanäle und Netzwerke erreichen, zu denen ein Unternehmen allein nur schwer Zugang finden würde. Der Verlust dieser Präsenz kann sich auf das Markenbewusstsein und den Absatz auswirken, insbesondere bei neuen oder Nischenprodukten.
Lösungen
Differenzierung: Konzentrieren Sie sich auf das, was Ihre Produkte oder Dienstleistungen einzigartig macht, sei es eine höhere Qualität oder ein besserer Kundenservice.
Markenidentität: Entwickeln Sie eine starke Markenidentität. Binden Sie Ihre Kundschaft durch Storytelling und den Aufbau einer Community ein.
Neue Tendenzen in der direkten Kundenansprache
Die Weiterentwicklung der digitalen Technologie, der Kundenerwartungen und der Marketingstrategien hat neue Taktiken und Methoden der direkten Kundenansprache hervorgebracht. Nachfolgend finden Sie einige beliebte neue Geschäftsstrategien für den Kundenkontakt.
Fortschrittliche Datenanalyse und KI: Unternehmen nutzen moderne Datenanalyse und künstliche Intelligenz (KI), um Kommunikation und individuelle Angebote zu personalisieren. Dies kann von personalisierten E-Mail-Marketing-Kampagnen bis hin zu dynamischen Website-Inhalten reichen, die auf die Vorlieben und das Verhalten der einzelnen Nutzer/innen zugeschnitten sind.
Kanalübergreifende Integration: Die Kundinnen und Kunden erwarten eine einheitliche Markenerfahrung über alle Kommunikationskanäle hinweg, ob online, in der App oder im Laden. Um dieser Erwartung gerecht zu werden, integrieren Unternehmen ihre Maßnahmen in den Bereichen Marketing, Vertrieb und Kundenservice kanalübergreifend.
Erweiterte Realität (Augmented Reality, AR) und virtuelle Realität (Virtual Reality, VR): Unternehmen entwickeln immersive AR- und VR-Einkaufserfahrungen, wie z. B. virtuelle Anproben von Kleidung und Accessoires und 3D-Produktvisualisierungen in den eigenen vier Wänden, um das Kundenengagement zu steigern und die Hemmschwelle zum Kauf zu senken.
D2C-Erweiterung: Marken erschließen neue D2C-Kanäle wie Abonnementdienste, Marken-Apps und Social Commerce, um ihre Kundschaft direkt zu erreichen und engere Beziehungen zu pflegen.
Kooperationen mit Influencern/Influencerinnen: Marken gehen zunehmend Partnerschaften mit Influencerinnen und Influencern ein, um authentische Empfehlungen zu erhalten und ihre Follower/innen für die direkte Kundenbindung zu nutzen.
Social Commerce: Die zunehmende Verwendung von Instagram, Facebook und TikTok als Einkaufskanäle wird von Unternehmen genutzt: Die Nutzer/innen können Produkte entdecken und kaufen, ohne die App zu verlassen.
Werteorientiertes Einkaufen: Kundinnen und Kunden bevorzugen Marken, die ihre Wertvorstellungen wie soziale Verantwortung und ökologische Nachhaltigkeit teilen. Deshalb haben Unternehmen begonnen, den Kundinnen und Kunden ihre Werte und Verfahren direkt mitzuteilen, um Kaufentscheidungen zu beeinflussen.
Chatbots und KI-gesteuerter Support: Immer häufiger bieten Unternehmen über KI-gesteuerte Chatbots und virtuelle Assistenten einen direkten und rund um die Uhr verfügbaren Kundenservice an und Kunden/Kundinnen erwarten mittlerweile sofortige Antworten auf ihre Anfragen und Probleme.
Personalisierte Kundenerfahrungen: Unternehmen bieten personalisierte Kundenerfahrungen an und nutzen Datenanalysen, um Bedürfnissen vorzugreifen und Probleme proaktiv zu lösen.
Marken-Storytelling: Unternehmen entwickeln fesselnde Geschichten rund um die Marke, ihre Produkte und ihre Werte, um emotionale Bindungen und Markentreue aufzubauen.
Bildungsinhalte: Unternehmen stellen Bildungs- und Informationsinhalte wie Anleitungen, Webinare und Tutorials zur Verfügung, um Ihren Kundinnen und Kunden zu helfen, fundierte Entscheidungen zu treffen.
Transparente Datenverarbeitung: In Anbetracht der wachsenden Besorgnis über den Datenschutz legen Marken Wert auf transparente Datenverarbeitung und geben ihrer Kundschaft die Kontrolle über ihre persönlichen Daten.
Schnelle Tests und Verbesserungen: Marken nutzen Technologien, um Bindungsstrategien schnell zu testen, zu lernen und einzusetzen, und verfolgen damit einen agileren Ansatz für Marketing und Kundenbindung.
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